Zottelkleid mit Hindernissen

David Bongard über Pulis mit Star-Allüren,
haarige Missverständnisse und die Wichtigkeit des Föhns.


Als ich gebeten wurde, etwas über Pulis zu schreiben, habe ich mich gefragt, wie das wohl am besten anzustellen sei. Ein Erlebnis aus der Sicht des Hundes zu schildern, kam schon mal nicht in Frage. Ich weiß noch aus dem Studium, dass es fast unmöglich und Ziel erheblicher wissenschaftlicher Anstrengungen ist, eine menschliche Kultur zu verstehen. Die Welt aus der Sicht einer anderen Spezies zu beschreiben erscheint mir bestenfalls für Fabeln geeignet. Fabeln haben meist eine Moral und diese Art von Belehrungen liegt mir nicht und ist ohnehin ziemlich sinnlos, weil man ja doch nur aus den Erfahrungen lernt, die man selber macht. Am allerwenigsten lernt man wohl aus den erfundenen Geschichten, erfundener Tieren mit frei erfundenen Verhaltensweisen. Vermenschlichungen, also das hinein interpretieren menschlicher Motive in tierisches Verhalten, halte ich sowieso für total daneben. Also: ein Aufhänger für meinen Artikel muss her!

Worum geht es denn eigentlich? Pulis, nun gut. Und was zeichnet den Puli aus, abgesehen davon, dass er kein Hund, sondern ein Puli ist, einen äußerst eigenwilligen Charakter[1] hat und überhaupt vollkommen einzigartig ist? Die Begeisterungsfähigkeit seiner Halter ist jedenfalls unübersehbar. Vermutlich verhält sich das bei den meisten Hundebesitzern so. Die eigene Rasse ist immer die tollste und der eigene Hund einzigartig: der apportierfreudigste Retriever, der größte Wolfshund und der längste Dackel. Was den Puli wirklich einzigartig macht, so dämmerte es mir schließlich, ist etwas über das seine Besitzer wenig reden, alle möglichen anderen Leute aber permanent. Überlegen Sie mal, wie oft Sie schon beim Gassigang von wildfremden Menschen Dinge gefragt wurden wie: "Wachsen die von alleine so?" oder "Machen Sie das selbst?"

Das Zottelkleid unserer Pulis ist ein echter Aufmerksamkeitsmagnet. Erstaunlich, wie viele Passanten sich einen Kommentar im Vorbeigehen nicht verkneifen können. Wie klein die Welt im Bereich der Assoziationen ist, merkt man, wenn man mit Puli in der Großstadt unterwegs ist: "Gö schau, ah Rastahund!", "Cane Rasta!", "Chien Bob Marley!", "I can't believe it, a dog with dreads!", "Ist das ein afrikanischer Hund?" Das Themenfeld "Rastafari-Dreadlocks-Afrika" ist international wohl genauso unerschöpflich, wie Zahl der Menschen, die einen auf die unglaubliche Frisur des eigenen Hundes aufmerksam machen. Der zugegeben etwas sinnlose Hinweis, dass die Rasse ungarische Wurzeln hat, führt meist nur zu verwirrten Blicken. Der Hund hat "Dreads", da soll er bitte mindestens aus Afrika kommen. Der weltgewandte Pulibesitzer tut gut daran, sich zumindest grundlegend über die Kultur des Rastafari zu informieren, damit er wenigstens bei der Begegnung mit menschlichen Dreadlockträgern durch Schlagfertigkeit überraschen kann: "Da dog don't smoke da herb, man!" [3]

"Rasta-Puli" in einem Werbespot von Budweiser

Schon deutlich näher am Alltag ist der Scherz eines Briten, den ich irgendwann aufgeschnappt habe: "Look, it's a mob on a lead!" Narrenmund tut Wahrheit kund, wie man so schön sagt. Wobei unser vierbeiniger Mob natürlich genau das Gegenteil eines echten Putzfeudels macht - Dreck verursachen nämlich. Ganz oben auf meiner Liste der unbedingt zu vermeidenden Orte stehen Nadelwälder und Dornenhecken, dicht gefolgt von Reisig, Blättern und jeder Art dichteren Unterholzes. Gras und Sand sind dagegen unproblematisch und, nach meiner Beobachtung, des Pulis größtes Glück. Die Puszta lässt schön grüßen. Unsere Marie fällt auf Wiese und Sandboden regelmäßig in Extase, was im Wesentlichen bedeutet, den Schwanz herunter zu klappen und grunzend im Kreis zu rennen. Wir nennen es auch den "Turbomodus". Der Turbomodus ist übrigens eng mit dem "Hütemodus" verwandt, wobei letzterer aber unbedingt zu vermeiden ist. Zwar bleibt das Grunzen das selbe, auflauern und dann vor Übermut in die Waden gezwickt werden ist aber nicht unbedingt unsere Vorstellung einer angenehmen Freizeitgestaltung.

Eine der Freizeitbeschäftigungen, die wir sehr genießen, die aber für den Puli eine haarige Angelegenheit ist, ist der Wintersport. Gefährlich am Winter sind für den Puli nicht etwa die tiefen Temperaturen, sondern die Größe der Schneekugeln, die sich um seine Pfoten bilden. Nach jedem längeren Spaziergang darf man sein vereistes Zotteltier mit klammen Fingern von den größeren Schneebatzen befreien und dann langsam (nicht zu heiß!) mit den Föhn abtauen. Gelegentlich mussten wir unseren Hund sogar schon tragen, weil er auf halber Strecke schlapp machte und nicht mehr weiter konnte. Glücklicherweise gehört unsere Marie nicht gerade zu den Größten ihrer Rasse und ist daher noch recht handlich. Puli im Rucksack Bei einer frühlingshaften Bergwanderung in Österreich gerieten wir einmal in dermaßen tiefen Schnee, dass an eine Rückkehr auf vier Pfoten nicht mehr zu denken war und die kleine Marie den Rest der Tour von einem komfortablen Rucksack aus erleben durfte. Dieser besondere Service wurde zum Schluss, in Ermangelung eines Föhns, sogar noch durch Auftauen mit Köperwärme ergänzt (man beachte hier die besondere Nähe zum Menschen!). Hund und Herrchen haben dieses Abenteuer übrigens ganz ohne Erkältung oder sonstige Blessuren überstanden.

Doch trotz all dieser Hindernisse möchte ich nicht tauschen. Der Puli ist halt einfach etwas besonderes, und zwar nicht nur wegen seines Zottelkleids. Das eigensinnige Wesen, das wir so lieben, sind vielleicht einfach nur Star-Allüren. Dieser Gedanke kommt mir jedenfalls manchmal, wenn Passanten ein Foto machen und unsere Marie sich verhält als stünde sie im Blitzlichtgewitter der Paparazzi. Mir soll es recht sein. An die ständige Aufmerksamkeit habe ich mich längst gewöhnt und solange der Hund sich wohl fühlt, tue ich das auch.


Fußnoten

1. Noch jemand, der lieber aus seinen eigenen Fehlern lernt [2].
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2. Und da ist sie schon, die erste Vermenschlichung...

3. Folgende Bücher zum Thema Rastafari kann ich empfehlen:
Rastafari (Bibliothek der Popgeschichte) von Volker Barsch
Rastafari. Eine universelle Philosophie im 3. Jahrtausend von Werner Zips

Zur musikalischen Untermalung bieten sich an:
Legend von Bob Marley & The Wailers
Scrolls of the Prophet: the Best of Peter Tosh

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